Epizentren des Immobilienmarktes –
Wie sich der Boom über den Raum ausbreitet

16.04.2018

Die Ballungsgebiete gelten seit Beginn der Niedrigzinsphase im Jahr 2010 als Epizentren des deutschen Immobilienmarktes. Vor allem Großstädte wie München, Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf oder Stuttgart vermelden regelmäßig neue Preissteigerungen. Zwar steigen die Durchschnittseinkommen in den Städten ebenfalls an. Jedoch hinken sie der Preisentwicklung immer weiter hinterher. Folglich nimmt die Erschwinglichkeit von Wohnraum ab. Schon längst ist die allgemeine Wohnungsnot auch bei den einkommensstarken Haushalten angekommen. In Tabelle 1 wird beispielhaft die durchschnittliche jährliche Mietbelastung für eine 90 Quadratmeterwohnung in hochpreisigen Regionen aufgezeigt. So lagen die Wohnkosten in Stuttgart im Jahr 2010 bei rund 9.180 EUR und stiegen bis 2017 auf 14.580 EUR an, was einer Differenz von 5.400 EUR (oder 58,8%) entspricht.

 

Tabelle 1: Jährliche Mietbelastung in EUR für eine durchschnittliche 90 qm Wohnung

Quelle: bulwiengesa

 

Gerade in Ballungsgebieten mit einem beschränkten Angebot reagieren Immobilienpreise besonders sensibel auf Nachfrageschwankungen. Aufgrund des technischen Fortschritts wird Deutschland zunehmend zu einer Dienstleistungsgesellschaft, was die Städte immer attraktiver macht. Ferner wurde die Nachfrage über die Geldpolitik mit einem für Deutschland viel zu niedrigen Zinsniveau stark angekurbelt. Darüber hinaus haben die Ankaufsprogramme der EZB die Markliquidität erhöht, welche u. a. die Preisdynamik am Immobilienmarkt weiter aufheizt. Die Globalisierung hat u. a. durch den freien Kapital- und Personenverkehr die deutschen Immobilienmärkte voll erfasst. Bei großen Immobiliendeals kommt mittlerweile mehr als jeder zweite Euro von Kapitalgebern aus dem Ausland. Im Jahr 2010 investierten diese rund 20,5 Mrd. EUR, im Jahr 2016 bereits 30,2 Mrd. EUR in den Kauf deutscher Immobilien. Konzentrierten sich diese in der Vergangenheit auf namhafte Großstädte, verlagert sich das Interesse auch zunehmend auf kleinere Städte.


Darüber hinaus wächst die Bevölkerung insbesondere durch die Zuwanderung stark an. Im Jahr 2011 lebten 80,3 Mio. Menschen in Deutschland. Im Jahr 2016 stieg die Bevölkerungszahl auf 82,5 Mio., was einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 438.000 Einwohnern entspricht. Demnach müsste jedes Jahr eine Stadt der Größe Stuttgarts gebaut werden, um entsprechenden Wohnraum zu schaffen. Paradoxerweise ging die Anzahl der Baugenehmigungen für Wohnungen im vergangenen Jahr um 7,3 Prozent zurück. Eine Entspannung der Immobilienmärkte ist daher kaum in Sicht. Selbst wenn man mehr Baugenehmigungen erteilt, steht die Baufertigstellung auf einem anderen Blatt. Denn die Bauwirtschaft steht großen Kapazitätsengpässen gegenüber und sucht bereits seit Jahren händeringend Fachkräfte.


Längst weichen die Haushalte, insbesondere Familien mit einem hohen Flächenbedarf, aufgrund der geringen Erschwinglichkeit von Wohnraum in das Umland der Ballungsgebiete aus. Dies ist eine typische Entwicklung, beginnen allgemeine Preisanstiege doch meist in den Kernstädten, was mit entsprechenden Verdrängungseffekten einhergeht. Diese wiederrum sorgen für einen Preisanstieg im Umland, was zu einer erhöhten Preisdynamik in ländlichen Gebieten führt. In der folgenden Abbildung 1 ist der „durchschnittliche Kaufpreis einer Immobilie als Vielfaches des Einkommens“ für die Jahre 2009, 2013 und 2017 dargestellt.

 

Abbildung 1: Ø Kaufpreis als Vielfaches des Einkommens

Quelle: bulwiengesa

 

Es wird ersichtlich, dass sich die Kaufpreise von den lokalen Einkommen insbesondere in den Ballungs- und Urlaubsgebieten (wie z. B. im Landkreis Nordfriesland (Sylt) oder dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen) entfernen. Ausgehend von diesen Epizentren breitet sich die Entwicklung räumlich aus. Dabei spielt natürlich nicht nur die (politisch gewollte) Globalisierung und die Geldpolitik eine Rolle. Hier gibt es eine große Gemengelage an Preisdeterminanten, welche letztlich auf indirektem Wege die Wohnortwahl der Bevölkerung massiv beeinflusst. Dies sorgt für politische Spannungen, mit der die Gesellschaft und Politik umgehen muss.


Quelle: Dr. Norbert Hiller/WL BANK